Es waren Kinder – Aus den Sammlungen der Maison d’Izieu Vom 4. April bis zum 22. September 2024

Kuratierung der Ausstellung

Stéphanie Boissard, Verantwortliche für Forschung, Archive und Dokumentation in der Maison d’Izieu

Le Sifflet ©Maison d’Izieu. Diese Pfeife wurde der Lehrerin Gabrielle Perrier von Raoul Bentitou geschenkt, um ihr zu helfen, ihre Schüler zu rufen. Sie fand sie in ihrer Bluse wieder, als sie nach der Razzia nach Izieu zurückkehrte.

 

Es waren Kinder! ist die vierte Sonderausstellung in der Galerie Zlatin.

Nach den Zeichnungen der Kinder und den Briefen und Fotos von Georgy führte uns „Das Jahr 1943 im Haus von Izieu“ 80 Jahre zurück in die Zeit, als Sabine und Miron Zlatin sich in Izieu niederließen, und erzählte vom Leben der Bewohner des Hauses während dieses Jahres 1943.

Es waren Kinder! folgt dem Lauf der Geschichte.
Originaldokumente und bisher unveröffentlichte Objekte bringen die Besucher*innen zurück ins Jahr 1944. Die Heiterkeit des Alltags der Kinder in Izieu steht im Gegensatz zur Angst vor der drohenden Gefahr und der Gewalt der Razzia. Darauf folgen die ersten Umrisse des Gedenkens, die durch die Nachfragen der Familien und die Aussagen der Angehörigen skizziert wurden. Der Einsatz der Hartnäckigsten, nicht zu vergessen, führte 1994 zur Einweihung der Gedenkstätte.

Das Leben ist fast gewöhnlich

Brief von Georgy Halpern an seinen Vater. ©Maison d’Izieu, Archives Beate et Serge Klarsfeld

 

Obwohl das Haus von Izieu ein Durchgangsort ist geben sich die Erwachsenen Mühe, einen geschützten Ort für die Kinder zu schaffen. Sie schaffen den Kindern einen gewöhnlichen Tagesablauf und Anhaltspunkte, egal wie lange die Kinder in Izieu bleiben.
Die Kinder helfen bei der Essenszubereitung, gehen in den Unterricht bei der Lehrerin Gabrielle Perrier oder im Collège in Belley. Sie zeichnen oder organisieren Aufführungen. Sie nutzen jede Möglichkeit für Feiern. Sie machen den Ort zu ihrem Zuhause und die umliegende Landschaft zu ihrem Spielplatz.. Sie schreiben regelmäßig Briefe an ihre Familien.
Sier lachen, singen, tanzen, freunden sich mit anderen Kindern an… sie leben das Leben eines Kindes. Aber, nicht alles ist so rosig ; wir befinden uns in Zeiten des Krieges. Die Momente der Freude löschen das Leid der Kinder nicht aus : sie sind von ihren Eltern getrennt und haben ihr Zuhause verloren. Einigen gelingt es, die Maison d’Izieu zu verlassen und bei Familie oder Freunden Zuflucht zu finden.
Nach dem kalten Winter freuen sich die Kinder, die noch im Haus wohnen, auf den Frühling. Sie planen ihre Zukunft, arbeiten eifrig in der Schule, damit ihre Eltern stolz sind und träumen von ihrer Zukunft.

 

Die Bedrohung kommt näher

Die Unruhe wächst und die Erwachsenen suchen nach Zufluchtsorten. Léa Feldblum nutzt diesen Geleitschein, um Anfang März 1944 Kinder in den Hérault zu bringen. Weitere Abfahrten sind für den 11. April geplant. Sauf-conduit de Léa Feldblum ©Maison d’Izieu, Archives Beate et Serge Klarsfeld

 

Nach der Kapitulation Italiens im September 1943, übernimmt Deutschland die Kontrolle der vorher durch Italien besetzten Zone. Vier Monate später ist die Spannung spürbar. Die Regeln haben sich geändert : die wenigen Ausnahmen von den antisemitischen Gesetzen in der Zone bestehen nicht mehr. Am 7. Januar 1944 wird Dr. Ben Drihem, der Arzt der zuvor auch die Kinder von Izieu behandelte, festgenommen und schließlich deportiert. Knapp einen Monat später, am 8. Februar, gibt es eine Razzia in den Büros der jüdischen Hilfsorganisation OSE-UGIF in Chambéry, rund 40km von Izieu entfernt. 10 Personen werden festgenommen und nach Ausschwitz deportiert. Der unerschütterliche Unterstützer des Hauses in Izieu, der Unterpräfekt Pierre-Marcel Wiltzer wird zwangsversetzt. Die Schutzwälle fallen einer nach dem anderen.
Sabine und Miron Zlatin wissen, dass sie schnell handeln müssen. Mit Hilfe der anderen Erwachsenen des Hauses suchen sie nach Möglichkeiten, die Kinder zu verteilen. Léa Feldblum bringt mehrere von ihnen Anfang März in die Region des Hérault, am Mittelmeer. Währendessen geht der Alltag für die in Izieu gebliebenen Kinder weiter. Marie-Louise Bouvier, Nichte der Nachbarin Madame Perticoz, zückt ihre Kamera und widmet den Kindern einen Film. Sie posieren gerne in kleinen Gruppen mit den Bergen der Chartreuse als Hintergrund.

 

Wie lebt man nach dem Horror weiter

Rücksendung an den Absender ©Maison d’Izieu, Archives Beate et Serge Klarsfeld. Nach der Razzia kann ein Brief an die Kinder nicht zugestellt werden. Die Notiz « Der Empfänger konnte nicht erreicht werden » wird auf die Rückseite des Briefumschlags geschrieben, der an den Absender, hier Sérafine Halpern, die Mutter von Georgy, zurückgeht.

 

Die Razzia findet am Morgen des 6. April 1944 statt, während Sabine Zlatin in Montpellier ist, um die Verteilung der Kinder zu organisieren. Die 44 Kinder und sieben ihre Betreuer werden in das Gefägnis Montluc in Lyon gebracht und dann in das Sammellager Drancy transportiert. Miron Zlatin und die zwei Jugendlichen werden in ein Arbeitslager in Estland geschickt, wo sie schließlich erschossen werden. Alle anderen werden nach Ausschwitz deportiert.
Nur Léa Feldblum kehrt zurück. In ihrer Aussage vom 11. Mai 1945 berichtet sie vom Ablauf der Razzia. Informationen fließen noch nicht so schnell wie heute. Manche Familien warteten monatelang, bevor sie das Schicksal ihrer Angehörigen erfuhren, Briefe an ihre Angehörigen wurden an den Absender zurückgeschickt und das Kontaktieren von Institutionen blieb vergeblich.
Die Überlebenden stehen der entsetzlichen Wahrheit hilflos gegenüber. Einige von ihnen werden sich dafür einsetzen, dass die Erinnerung an die Kinder weiterlebt. Sabine Zlatin, unterstützt vor allem vom Unterpräfekten Jean Cardot, wird 1946 die erste Gedenkfeier organisieren. Am Haus wird eine Gedenktafel angebracht und am Fuße des Hügels im Dorf Brégnier-Cordon ein Denkmal errichtet. Ab den 1970er Jahren setzen Serge und Beate Klarsfeld zusammen mit Müttern der deportierten Kindern alles daran, Klaus Barbie zu finden und vor Gericht zu stellen. Im Anschluss an diesen Prozess wird der Verein gegründet und die Gedenkstätte entsteht, um die begonnene Erinnerungsarbeit fortzusetzen.